Zwergkärpflinge Monographie

makropod

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Hi..

Ich habe nun seit 45+ Jahren Zwergkärpflinge H. formosa, und lerne gerade erstaunliche, neue Dinge über diese Art durch die Lektüre einer Monographie zu selbigen aus "Die neue Brehm Bücherei".
 

makropod

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here we go..

Ich wollte das Buch schon länger haben. Die Reihe kenne ich von anderen Werken her, wie z. B. "Die Makropoden", und entsprechend gespannt und erwartungsvoll war ich. Nun, meine Erwartungen wurden jedenfalls gänzlich erfüllt.

Zuerst wird der Gattungsbegriff "Heterandria" systematisch beleuchtet und ergründet- eine kleine Odyssee, wie man nachlesen kann. Denn man erfährt, dass mit der Erstbeschreibung von Herterandria formosa durch Agassiz 1855 zugleich die Gattung Heterandria monotypisch, d. h. mit nur einer Art, aufgestellt wurde. Nach Europa kam sie dann wohl erstmalig 1912, und zwar über genau den Importeur, der nur wenige Jahre zuvor den Millionenfisch Guppy, heute P. reticulata, zu uns brachte.

Exkurs ein:
Rachow führte den Zwergkärpfling 1912 auf Seite 287ff. in den Blättern für Aquarien - und Terrarienkunde als "Girardinus formosus Agassiz" ein. Rachow berichtete, die Art sei von Agassiz als Heterandria formosa erstbeschrieben worden, auch dass neuere Ichthyologen Heterandria bestätigten, dass Jordan und Evermann Heterandria vor Girardinus setzen, als Heterandria (Girardinus) formosa, dass Garman wegen der unterschiedlichen Bezahnung von zwei unterschiedlichen Gattungen - Heterandria und Girardinus - ausging, und dass Günther die Gattungsbezeichnung also auf Girardinus setzte, und die Art nunmehr so anzusprechen sei.
Exkurs aus:

Es setzte sich letztlich doch Heterandria durch, und vorübergehend wurde die Gattung Heterandria gar zum Sammelbecken - Heterandria wurde zeitweise einige Pseudoxiphophorus-Arten (direkt!) zugerechnet; das konnte letztlich aber systematisch anders gelöst werden. Nur monotypisch ist Heterandia heute auch nicht mehr; es gibt da etwa diesen "Teddy"..

to be continued..
 

makropod

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here we go..

Überlegungen im Buch zur Entwicklungs- und Entstehungsgeschichte:

Da es eierlegende Zahnkarpfen in Nord- und Südamerika, sowie Afrika und Eurasien gibt, lebendgebärende Zahnkarpfen aber nur in den drei Amerikas, wird heute eher angenommen, dass die gemeinsamen Vorfahren aller Zahnkarpfen noch auf dem großen Urkontinent entstanden seien, und die lebendgebärenden Zahnkarpfen sich erst später entwickelten, nachdem zuletzt auch Südamerika und Afrika im Rahmen der Kontinentaldrift begannen, auseinander zu gehen. Diesbezüglich gelten auch Entstehungsansätze, wonach die lebendgebärenden Zahnkarpfen einst aus dem Meer ins Brack- und Süßwasser eingewandert sein könnten, als vage.

Heterandria selbst könnte sogar eher jung sein, weil Florida - und eventuell der Süden Süd Carolinas nicht immer so wasserreich und feucht waren, wie man das heute kennt; so feucht sei es da gesichert erst seit bzw. nach Ende der sog. Wisconsin Eiszeit.

to be continued..
 

makropod

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here we go..

Unterscheiden sich die Zwergkärpflinge in den Ursprungsgebieten, und unterscheiden sie sich von denen in Aquarienhaltung? Im Buch gibt es darauf vielfältig Antwort.

Nun, die Aquarientiere scheinen in beiden Geschlechtern geringfügig größer, was am Nahrungsangebot liegen kann. Und es gibt in manchen Jahren in der Natur auffällig übergroße Weibchen unter den Fundtieren, ohne dass deren Alter oder die Nahrungssituation im Rahmen der Größenerhebung mit betrachtet wurde.

Der einst als kleinster Fisch angenommene H. formosa ist auch heute noch der kleinste Fisch Nordamerikas.

Es gibt regionale Farbschläge, sehr helle Einzeltiere und Tiere, deren Körper teilweise ausgehellt ist. Die Jungtieren werden dunkler pigmentiert geboren und hellen dann aus. Alttiere wirken weniger stark pigmentiert als Jungtiere - und insgesamt blasser. Die Längs- und Querbinden können sehr variabel ausgefärbt sein.

Bei der Balz oder gleichgeschlechtlichen Rangfestlegungen ist insbesondere bei Weibchen ein Aufhellen zu beobachten. Männchen an Reviergrenzen wirken dunkler.

Zwergkärpflinge passen sich farblich nicht etwa einer farblich wechselnder Umgebung an, was darauf hindeutet, dass sie so wie sie sind, hinreichend gut getarnt sind.

Beide Geschlechter wirken auch sehr bedächtig und langsam in ihren Bewegungen, insgesamt geradezu unauffällig. Deren Augen können auch gut nach vorne sehen und fokussieren, was auch beim "Hypnotisieren" kleiner, langsamer und/oder festsitzender Futtertiere zu beobachten ist, ähnlich wie viele Labyrinthern das tun.

Zwergkärpflinge gelten unter den lebendgebärenden Zahnkarpfen einerseits als ursprünglich, andererseits ist das männliche Fortpflanzungsorgan besonders, und die Superfötation im weiblichen Geschlecht ist auch besonders. Zwergkärpflinge haben eine Plazenta.

Die Superfötation, bei der immer nur ein Fötus (Fötus!) nach dem anderen heranreift, und alle paar Tage einzeln abgesetzt wird, verhindert, dass sich die Zwergkärflingsdamen so wie etwa Guppys oder Mollys zyklisch quasi sprichwörtlich "die Figur versauen", und sie als "Mutterschiff" auf der Flucht schlanker und insgesamt wendiger und schneller bleiben.

Und schneller sind sie eher nur auf der Flucht, beim Nachjagen von Artgenossen oder beim Fressen.

Zwergkärpflinge können zwittrig sein. Das besondere bei Zwergkärpflingen ist, dass deren Zwitter sowohl Gonaden als auch Eierstöcke besitzen und phänotypisch ein Geschlecht - auch im Verhalten - herausragen kann.

Die DNA der Zwergkärpflinge gilt als vollständig entschlüsselt. Zwergkärpflinge sind die erste Art Lebendgebärende Zahnkarpfen mit einer Plazenta, die so weitgehend bestimmt und entschlüsselt worden ist.

to be continued..
 

makropod

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here we go..

Verbreitung und Ökologie:

Das nächste Kapitel ist informationstechnisch unglaublich tiefschürfend und erhellend:

Verbreitung, Lebensräume und -bedingungen, tageslängeabhängige, strikt saisonale natürliche Fortpflanzung, Diversität der Habitate, Lokalformen, neue Siedlungsräume,Selektion und Konkurrenz, Nahrungsressourcen, Gefährdungssituation.

Das alles muss ich erst noch ein wenig verdauen und verinnerlichen - und mit eigenen Beobachtungen und Erfahrungen abgleichen. WOW! :)

to be continued..
 

makropod

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Der Süden Floridas ist subtropisch, wird aber immer wieder auch von Kaltfronten aus dem Norden erreicht. Der Norden ist etwas kühler und trockener - analog gilt das fürs südliche Süd Carolina bzw. südliche Nord Carolina.

Mit unterschiedlicher Individuen-Dichte werden Zwergkärpflinge dort in quasi allen Gewässertypen angetroffen, ausgrücklich genannt werden etwa Bäche und Gräben, Tümpel, Teiche und Weiher, Sümpfe und Randbereiche größerer Fließgewässer. Gewässer mit geringer bis fehlender Strömung sowie wärmere Standorte werden bevorzugt und zeugen von einer höheren Individuendichte.

Je nach Lage und Gewässertyp ist die Schwankungsbreite der Jahres-Wasser-Temperaturen in Fließgewässern mit 18-27 °C bis hin zu 7-39 °C in Klein- und Flachgewässern angegeben.

Heterandria formosa kennt eine saisonale Vermehrungszeit, die nicht von der lokalen Gewässer-Temperatur, sondern der Tageslänge bestimmt wird. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal und gilt auch in Aquarien, umso mehr dann, wenn diese einen ausgewiesenen Naturlichtzugang haben.

Ab Ende Oktober werden bei Fängen fast keine Neugeborenen mehr gezählt, wohl aber zuvor geborene Jungtiere angetroffen. Ab März gibt es dann auch wieder Neugeborene. Die Balz und Begattung geht im Herbst und Winter weiter, das Sperma wird von den Weibchen gespeichert.

In den 7-8 Monaten der Fortpflanzungszeit werden je nach Temperaturverlauf und ausreichend Wärme 2-4 Generationsfolgen hervorgebracht. Die Weibchen können unter guten Bedingungen die Geschlechtsreife in 5 Wochen erreichen.

Die Fortpflanzung fällt in die Zeit, in der auch das Futterangebot von Algen und Infusorien, bakteriellem, pflanzlichem und tierischem Aufwuchs, Hüpferlingen bis hin zu Insektenlarven und Schneckennachwuchs am besten ist.

Aufgrund ihrer geringen Eigen-Größe können Zwergkärpflinge Futtertiere selbst in dichtem Pflanzenbewuchs nachstellen.

Aufgrund der geringen Größe insbesondere der Männchen stehen Zwergkärpflinge zugleich weiter unten in der Nahrungskette, was sie über eine entsprechende Vermehrungrate, Tarnfärbung und Unauffälligkeit in der Fortbewegung wettmachen müssen. Zugleich steht ihnen insbesondere in der Vermehrungszeit reichlich geeignetes Futter zur Verfügung.

Zwergkärpflinge zählen in der Natur nicht zu den bedrohten Arten. Als Art droht ihr aktuell keine Art-Aufspaltung, wohl aber gibt es unter bestimmten Stämmen in der Kreuzung beider zu Auffälligkeiten in Form von Widerständen, die sich in einer erhöhten Rate von Fehlgeburten zeigen.

Die in Aquarien gepflegten Zwergkärpflinge zeigen trotz seltener Gen-Auffrischung aus den Ursprungsgebieten keine sichtlichen Anzeichen von Degeneration, insoweit scheint eine gelehgentluche Auffrischung aus der Natur aktuell nicht notwendig. Es wird in der Natur wie in der Aquaristik bei Zwergkärpflingen eher eine Tendenz in Richtung Vorliebe für eine Reproduktion mit nahestehender Artgenossen vermutet.

Zwergkärpflinge folgen bei Regen dem Wasser in den überfluteten Wiesenbereich, und kehren bei Wasserstandsabsenkungen wieder in die Ursprungsgewässer zurück. Sie sind selbst in bebauten Gebieten in den natürlichen Ableitgewssen, wie auch von Menschenhand gebauten Gräben anzutreffen.

Da ist noch so viel mehr Berichtenswertes. Einfach MEGA!

to be continued..
 

makropod

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here we go..

Das Verhalten der primär tagaktiven Tiere ist eher ruhig, langsam, beobachtend und fokussierend.

Es wird berichtet, dass das Fluchtverhalten wilder Zwergkärpflinge ausgeprägter sei, als das von Aquarientieren, während Aquarientiere schneller lernen Futterspenden anzunehmen.

Es wird in der Natur in offenem Wasser und bei drohender Gefahr von Wanderbewegungen größerer Gruppen von bis zu Hunderten von Tieren berichtet, und das sich diese dann oft auch umherwandernden Gambusen anschließen.

Offenes Wasser sind nicht der eigentliche Aufenthaltsbereich oder Lebensraum von Zwergkärpflingen. Umherwandern müssen sie etwa bei Wasseranstieg, wenn der krautige Randbereich plötzlich Fließquerschnitt wird, um mit dem Wasseranstieg ins überflutente Rand-Grasland einwandern zu können, oder bei austrocknenden Flachgewässern über die Flächen oder Abflussquerschnitte in stets wasserführende Gewässerabschnitte zurückzukehren.

In Bälde mehr zu deren Gruppen- und Sozialverhalten.

to be continued..
 

makropod

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Hi..

here we go..

In der Gruppe ist die Aggressivität untereinander in großen AQs und geringem Besatz relativ gering, sie nimmt mit steigender Anzahl an Tieren zu, und sinkt bei höherer Besatzdichte dann wieder. Das ist nicht etwa selten bei territorialen Tieren.

Verhalten kann angeboren oder erworben sein - so auch beim Zwergkärpfling.

Bei Gefahr fliehen Zwergkärpflinge schnurstracks in dichte Vegetationsbestände. Im Freiwasser gehen sie erst einmal in Schwarmformation über, und flüchten dann in dichte Vegetation.

Ein unbekanntes Territorium wird von Zwergkärpflingen zunächst genauestens erkundet. Zwergkärpflinge sind relativ ortstreu, solange veränderliche Lebensverhältnisse sie nicht auffordern zu wandern, so auch bei sinkenden oder steigenden Wasserständen.

Sagt Ihnen ein Standort zu, bleiben sie dort, solange dieser Futter bietet.

to be continued..
 

makropod

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Hi..

here we go..

In der Natur sind Zwergkärpflinge sog. primär microcarnivore Aufwuchsfresser, und somit eigentlich Raubfische; sie nehmen beim Abweiden der Substratoberflächen neben einzelligen Tieren aber auch feinste Algen und Biofilm mit auf. Außerdem vertilgen sie Stechmücken-Eipackete und kleinere Mückenlarven und andere kleinere Wassertiere.

Für ihren Status als Raubfische spricht ihr erweitertes Sichtfeld, ihre Fähigkeit nach vorne zu sehen, also vorauszuschauen, ihr Fokussieren und Lauern, ihre Standortverbundenheit und ihr aktiv betriebener Drang neue Standorte zu erkunden und sich so en Detail damit vertraut zu machen. Im Allgemeinen sind Raubfische Friedfischen kognitiv überlegen, wie etwa der Döbel friedfischigen Weissfischen.

Die Fragestellung, ob Zwergkärpflinge in der Natur Neugeborene der eigenen Art nachstellen und diese fressen, konnte bislang nicht beobachtet werden. Ist aber unter Lebendgebärende Zahnkarpfen verbreitet und für Raubfische ohnehin üblich, und in Aquarien eher zu beobachten, so dass, wer sie vermehren will, den Neugeborenen Rückzugsraum und darin ausreichend Aufwuchsflächen bieten sollte.


to be continued..
 
G

Gelöschtes Mitglied 23320

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Hi Marco,

Heterandria stehen (wie auch Neoheterandria elegans) auf meiner Wunschliste, schon deshalb lese ich sehr interessiert mit.

Das hier:
Im Allgemeinen sind Raubfische Friedfischen kognitiv überlegen, wie etwa der Döbel friedfischigen Weissfischen.
halte ich aber für eine steile These. Als Angler habe ich auch (oft) mit Döbeln und anderen Cypriniden zu tun, mit Hecht & Co. natürlich auch. Die kognitive Überlegenheit der Räuber kann ich nicht so recht glauben.

Ist aber schnuppe, darum geht es hier nicht vorrangig sondern um die formosa.
 
G

Gelöschtes Mitglied 23320

Guest
Hallo Marco,

neuerdings schwimmen hier auch einige formosen/-ae/-ii (ich habe überhaupt keinen Plan von der Bildung des lateinischen Plurals :D ) herum und der Fisch übertrifft alle Erwartungen.
Mich fasziniert das bedächtige Verhalten, das sieht fast schon überlegt und planvoll aus.

Heute konnte ich ein Weibchen beobachten, das einem Neugeborenen hinterher ist. Ob sie es geschnappt hat, war nicht zu erkennen. Fressen sie ihren Nachwuchs? Angesichts des vorsichtigen Fressens beim Füttern von Granulat oder Flocken (als hätten sie Bedenken, man könne sie der Völlerei bezichtigen) würde mich das wundern aber man weiß ja nie.
 

makropod

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Hi Jan..

Ja, gut beobachtet. Sie fressen - wie viele andere lebendgebärende Zahnkarpfen - auch die Neugeborenen der eigenen Art.

In der Natur oder im AQ ziehen sich die Neugeborenen auch vor der eigenen Art in Algenfelder, dichte, feinfiedrige Wasserpflanzenbestände oder Wasserwurzelzonen von Bäumen, Sträuchern oder Sumpfpflanzen solange zurück, bis sie größenmäßig nicht mehr so in Gefahr sind. Auch die Neugeborenen lernen ihre Umgebung aktiv kennen und deren Verstecke.

Diese feinen Strukturen bieten dann auch Siedlungsflächen größeren Ausmaßes für festsitzende Filtrierer, ihrem Lieblingsfutter. Die Kleinen gehen in der Natur nicht etwa zum Fressen ins Freiwasser, und wenn doch, dann reicht das Futter in der oben beschriebenen Schutzzone ggf. nicht aus. Insoweit wünschen sie sich eher eingefahrene und vielfältig mit Aufwuchs belebte und verkrautete AQs. Auch der Erwachsenen.

Beispiele fürs AQ wären Schwimmfarn-Wurzelzonen, flutende feinblättrige Arten, wie Hornkraut , Wasserpest, Cabombas, Limnophilas, oder auch großflächige, vermulmte Wassermoosfelder - aber auch die Bastardludwigie kann etwa prächtige Wasserwurzelfelder bilden.
 
G

Gelöschtes Mitglied 23320

Guest
Hallo zusammen, vorhin konnte ich den Schlupf eines Jungfisches beobachten. Vor ewigen Zeiten habe ich das bei Guppys zuletzt gesehen. Drücken wir dem Zwerg die Daumen!
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M Hält jemand hier Zwergkärpflinge Heterandria formosa? Kein Thema - wenig Regeln 0

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